Großes Theater auf kleiner Bühne
Die Papierfiguren sind kunstvoll. Fein und detailliert gezeichnet und ebenso zugeschnitten. Jede einzelne ist ausdrucksstark, zeugt von Charakter. Jede Figurengruppe steckt voller Dynamik. Auf Holzschienen montiert, können sie bewegt und verschoben werden. Dazu kommt die Bühne, die Elektrik, eine selbst gebaute Regentrommel… Es ist das Equipment für 12 Balladen wie Theodor Fontanes „Herr von Ribbeck“, Schillers „Die Bürgschaft“ oder „Die Füße im Feuer“ von Conrad Ferdinand Meyer... All diese Dinge, sie erzählen eine Geschichte – es ist nicht nur die von den Stücken, die damit einst aufgeführt worden sind – sondern irgendwie auch eine über die Menschen, die sie schufen, mit ihnen arbeiteten und die Bühne zum Leben erweckten.
Volkskundlerin Petra-Regina Springer dokumentiert genau, was alles zu diesem Papiertheater dazu gehört und in welchem Zustand es ist. Datieren lässt sich das Theatermaterial vom Ende der 1980er Jahre bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts. Springer arbeitet im Freilichtmuseum Molfsee, Landesmuseum für Volkskunde, und ist dort für die Inventarisierung zuständig. Als Volkskundlerin nehme sie den Alltag der Menschen aus früheren Zeiten unter die Lupe – und erfahre so indirekt auch allgemein sehr viel über jene Zeit. „Das ist das, was für mich den Reiz an meiner Arbeit ausmacht“, sagt sie.
Wem dieses Theater einst gehört hat und dass dahinter ein Stück Kulturgeschichte steht, davon zeugen auch kleine Büchlein, die in dem ganzen Konvolut enthalten sind. „Papiertheater Heinz und Gerlinde Holland“, so der Titel. Und darüber steht: „Carl-Hellriegel-Nachfahren“. Heinz und Gerlinde Holland haben das Papiertheater, das Springer nun in Händen hält, dem Museum vor vielen Jahren geschenkt. In ihren Büchlein hielten sie handschriftlich fest, wann welches Stück aufgeführt wurde – sowie die Namen ihrer Gäste. So luden sie diese meist zu sich nach Hause ein, nach Kronshagen bei Kiel. Bis zu 15 Personen hatten dort Platz. In 15 Jahren, in denen das Paar auch auf Festivals und an anderen Orten auftrat, kamen so insgesamt über 15.000 Besucher*innen zusammen.
Insbesondere in Norddeutschland gibt es bis heute eine aktive Papiertheaterszene. So findet vom 8.-10. September 2023 das 36. Preetzer Papiertheatertreffen statt, eine große Zusammenkunft von Papiertheaterspielern aus ganz Europa. Auch Großmutter Gerlinde und die ihr nachfolgenden Generationen sind dort anzutreffen. Die Familientradition setzt sich also fort und mit ihr die Geschichte des Papiertheaters.