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  • Dr. Kerstin Poehls

„Warum tun wir, was wir tun?“

Dr. Kerstin Poehls leitet seit Anfang November unser Freilichtmuseum. Die Wissenschaftlerin ist auf Europäische Ethnologie spezialisiert. Sie bewegt dabei die Frage, wie Menschen in sozialen Gruppen und in der Gesellschaft agieren - wie sie ihr Tun, Dinge oder Orte mit Bedeutung versehen. Was sie sich mit ihrem Team für die Museumsarbeit vorgenommen hat: noch mehr auf Geschichte neugierig machen, Verbindungen in die Gegenwart schaffen und Dialoge über unsere Zukunft initiieren.

Frau Poehls, Sie sind in Nortorf aufgewachsen, in Rendsburg zur Schule gegangen. Haben Sie in Ihrer Kindheit und Jugend das Freilichtmuseum Molfsee bereits kennengelernt?
Ja, natürlich! Wie vermutlich alle schleswig-holsteinischen Kinder in den letzten Jahrzehnten habe auch ich Kindheitserinnerungen an Molfsee – als Jugendliche war ich aber eher rudernd auf der Eider und anderen Gewässern unterwegs…

Was hat Ihnen an Molfsee besonders gefallen? Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
In Erinnerung geblieben ist mir ganz sicher das gelbe Wachs rund um den Holtseer Käse – und ich meine, an der Seite meiner Oma über das Gelände gegangen zu sein. Das ist vermutlich für viele Kinder ähnlich: Das sinnliche Erleben beim gemeinsamen Schlendern und Plaudern zusammen mit der Familie oder Freunden, beim Suchen und Entdecken, das bleibt stärker in Erinnerung als einzelne Exponate.

Was hat dazu geführt, dass Sie Europäische Ethnologie studiert haben?
Im Kern war das meine Neugier darauf, wie Menschen in sozialen Gruppen und in der Gesellschaft agieren, wie sie ihr Tun, Dinge oder Orte mit Bedeutung versehen… und bei der Suche stieß ich auf die Empirische Kulturwissenschaft. Mit Interviews, beim Beobachten und Teilnehmen zu forschen, das fand ich von Anfang an toll – meine Begeisterung für unsere qualitativen Methoden ist weiter groß, sowohl mit Blick auf Alltagspraktiken als auch Materielle Kultur! Und ich hatte auch den Wunsch oder die vage Idee, dass ich irgendwann einmal in einer Kulturinstitution tätig sein wollte, wo kulturwissenschaftliche Fragen in einem breiteren Rahmen auf gewitzte und einladende Weise gedreht und gewendet werden.

Was sind Ihre großen Themen als Ethnologin?
Die Neugier, die mich nach Tübingen und zur Empirischen Kulturwissenschaft und dann über Stockholm weiter nach Berlin gebracht hat, ist geblieben: Wie werden Bedeutungen gesellschaftlich und sozial hergestellt, wer übt dabei Macht aus, woran entzünden sich Konflikte – und an welchen Alltagsobjekten und Orten wird das greifbar?

Haben Sie ein Beispiel für uns?
Bei meiner Forschung zu „Europa backstage“ wollte ich herausfinden, wie eigentlich „professionelle Europäer*innen“ in Brüssel agieren, welche Codes, welche Kleidung, Sprechweisen und Expertisen im EU-Machtfeld erfolgversprechend sind. Anders gefragt: Wer gehört eigentlich zu dieser sehr speziellen Variante von Europa dazu, und wer nicht, wer entscheidet darüber und in welchen Ritualen oder Symbolen wird das greifbar?

Über Museen haben Sie auch bereits geforscht…
Richtig. Welche Grenzen Europas dabei (re)produziert werden und wie Migration und Europa zu musealen Leitkategorien werden, darum ging es meinen Kolleg*innen und mir in „Exhibiting Europe“. Wir haben uns auch damit beschäftigt, wie Sammlungsobjekte „europäisch“ gemacht, wie sie neu befragt und anders bewertet werden.

In den letzten Jahren haben Sie sich auch mit einem extrem süßen Thema beschäftigt, oder?
Ja, das stimmt. Meine Forschung dreht sich um Zuckerhandel und -konsum (und auch um die Frage, warum immer mehr Menschen auf Zucker verzichten). Welche Spuren der Geschichte Europas als Kolonisator finden wir noch heute, wenn wir vor dem Supermarktregal stehen? Was hat historisch dazu geführt, dass Zucker eine derart moralisch aufgeladene Substanz geworden ist?

Bei allem interessiert mich das Verhältnis von materieller Kultur und Alltag, und was wir daraus über Machtbeziehungen und auch Konfliktlagen lernen können. Dazu kann ich in die frühere EU-Zuckermarktordnung schauen, die Texte auf Zuckerverpackungen als Quellen hinzuziehen, oder aber historischen und gegenwärtigen Zuckerverzicht miteinander vergleichen: Im frühen 19. Jahrhundert ging es den Abolitionisten darum, mit Zuckerverzicht ein Ende der Sklaverei herbeizuführen; im heutigen Zuckerverzicht verbinden sich Körperoptimierung und Kritik an der globalen Lebensmittelindustrie. Welche Ideen von einer besseren Zukunft stecken jeweils darin? Das ist eine Frage, die wir uns auch hier im Museum stellen können.

Viele dieser Themen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nachhaltig aktuell sind, oder?
Das finde ich auch – und ich denke zugleich, dass wir noch nachdrücklicher noch mehr unterschiedliche Menschen zum lustvollen Nach- und Mitdenken über Alltagskulturen früher und heute einladen können, auch und gerade bei uns im Museum. Wie wollen wir in der uns umgebenden Landschaft, mit unseren Ressourcen und den hier verankerten Geschichten und Perspektiven auf die Welt an Auswegen mitarbeiten? Das ist letztlich die Frage nach möglichen Wegen aus der Klimakrise, und die geht uns alle an.

Verraten Sie uns schon ein wenig, inwieweit sich diese Themen in Ihrer Arbeit in Molfsee widerspiegeln könnten?
Wir werden uns in Molfsee in der nächsten Zeit intensiv damit befassen, wie wir sehr vieles von dem, was sich schon auf dem großen Areal finden lässt, besser zugänglich machen können: Wie erzählen wir so von der globalen Vernetzung ländlicher Räume, dass wir auf Geschichte neugierig machen und die Verbindungen in unsere Gegenwart sichtbarer werden? Wir wollen einladen, hier vor Ort, im Jahr100Haus und auf dem Gelände, mit den Sammlungsobjekten und mit vielstimmigen Kooperationspartner*innen über Zukunftsfragen nachzudenken.

Und ich möchte – na klar – mit dem ganzen Team in der Zukunft natürlich auch eine Ausstellung umsetzen, die aus postkolonialer Warte Zucker ins Zentrum rückt. 

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