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  • Dauerausstellung Jahr100haus, Thema Rhythmus und Rituale

„Wir übersetzen wissenschaftliche Themen in Räume und Bilder“

Korkut Demirag ist Ausstellungsarchitekt. Gemeinsam mit seinem Team hat er die neue Dauerausstellung in unserem Jahr100Haus in Molfsee gestaltet. Im Interview verrät er uns etwas über seine Arbeit und warum „wir alle zusammen in gewisser Weise Geschichte schreiben“.

Herr Demirag, Sie sind ein gefragter Ausstellungsarchitekt, entwerfen räumliche Dramaturgien, setzen Objekte in Szene… Können Sie uns etwas näher erläutern, wie Ihre Arbeit aussieht und was Sie daran besonders reizt?
Unsere Arbeit beginnt meist mit dem Eintauchen in für uns neue Welten. Dabei handelt es sich um Wissenschaftsgebiete und Themen, die uns alle beschäftigen und in irgendeiner Weise Relevanz für unser Dasein haben. Die Wissenschaftler des jeweiligen Ausstellungsprojektes nehmen uns gewissermaßen an die Hand und führen uns in ihren inhaltlichen Kosmos. Dabei begegnen wir Objekten und Geschichten, Fakten und Erkenntnissen, die uns inspirieren. Sobald wir den Überblick gewonnen haben, beginnen wir gemeinsam mit den Kuratoren das Material zu ordnen und erste Kern-Aussagen zu formulieren. Dabei leitet uns stets die Frage, was für das Publikum relevant und von Bedeutung ist. Schließlich geht es meist darum, historische Inhalte und Themen an die Gegenwart, also den Erfahrungsrahmen unserer Besucher anzuschließen. Wir suchen also in unserem Gestaltungsprozess nach einer zeitgemäßen „Erzählung“ mit möglichst großen Erkenntnisgewinnen für die Besucher. In gewisser Weise übersetzen wir wissenschaftliche Themen und Inhalte in Raum und Bilder.

Korkut Demirag

Und wie müssen wir uns diese „Übersetzung“ vorstellen?
In der Entwicklung der Raumbilder dürfen wir unsere Kreativität stets aufs Neue entfalten. Oft erproben wir verschiedene Gestaltungsansätze und entwerfen viele unterschiedliche Raumbilder, um am Ende die treffendste Idee auszuwählen. Dabei helfen uns frühe Visualisierungen in Skizzen und Zeichnungen, im Modellbau sowie 3D-Modelle. So erarbeiten wir Stück für Stück eine Szenografie, die immer weiter verbessert und verfeinert wird. Wenn die Gestaltung ausgereift ist, kommt die Umsetzung, bei der es darum geht, den Entwurf mit handwerklicher Kunst in die Realität zu bringen. Diese Phase ist natürlich sehr spannend und herausfordernd, weil es dann auf die gute Zusammenarbeit vieler Beteiligter ankommt. Durch deren Input bekommt jedes Projekt nochmal einen besonderen Drive. Vom ersten Eintauchen in den Themenkosmos bis zum fertigen Gesamtwerk ist es ein langer und oft auch steiniger Weg, der nur im Team gemeistert werden kann. Und genau die interdisziplinäre und kreative Zusammenarbeit mit immer neuen Themen macht unsere Profession unglaublich reizvoll. Wenn wir dann nach Jahren der Planung durch unsere fertige Ausstellung laufen und die ersten staunenden Gäste beobachten dürfen, macht uns das natürlich sehr glücklich. 

Die neue Dauerausstellung in Molfsee thematisiert die Alltagskultur des 20. Jahrhunderts in Schleswig-Holstein. Wie haben Sie sich als Stuttgarter diesem Thema angenähert?
Natürlich habe ich zunächst Schleswig-Holstein bereist, Zeitungen aus allen Landesteilen, großen und kleinen Gemeinden gelesen und habe mit den unterschiedlichsten Menschen Gespräche geführt. Dabei ging es mir darum, jenseits der Klischees und bekannten Vorstellungen ein Gespür für das Land und die Menschen zu bekommen. Natürlich fallen einem Süddeutschen sofort etliche Besonderheiten auf, die für die Menschen in Schleswig-Holstein selbstverständlich sind und nicht weiter auffallen. Diese Beobachtungen werfen oft die Frage auf, warum bestimmte Dinge in SH so sind, wie wir sie heute erleben. Und genau an dieser Stelle kommt die wissenschaftliche Arbeit der Kuratoren mit deren Sammlung und Wissen ins Spiel. Alles was wir heute sehen, hat eine Geschichte, eine Prägung, einen Ausgangspunkt und lässt sich anhand der Sammlung und der spezifischen  Objekte spannend erklären. Die Kuratoren kennen durch deren Forschung natürlich all die Geschichten hinter den Dingen. An diesem Punkt spielt es dann keine Rolle, ob Sie aus Flensburg oder Freiburg kommen. Die Geschichten wollen lediglich spannend erzählt werden.

Mit Blick auf den Namen Jahr100Haus könnte man im ersten Moment auf den Gedanken kommen, dass damit ein historischer Abriss verbunden ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Können Sie etwas zum Aufbau der Ausstellung sagen - und welche Gedanken dahinter stehen?
Wir konzentrieren uns in der Ausstellung auf die vergangenen 100 Jahre, das heißt, eine Zeit, die historisch gesehen sehr nahe an unserer Gegenwart liegt. Viele Menschen haben selber einen Teil dieser jungen Geschichte erlebt. Damit wird Geschichte sehr nahbar, weil wir und unsere direkten Vorfahren in dieser Zeit gelebt haben. Dieser Ansatz gefällt mir sehr gut, weil die Besucher schnell begreifen, dass Geschichte keine abstrakte Wissenschaft ist, sondern dass wir alle zusammen in gewisser Weise Geschichte schreiben. Im Gegensatz zu vielen anderen kulturgeschichtlichen Ausstellungen schwenken wir den Fokus näher an die Gegenwart und damit auf die Besucher selbst. Dadurch sind die ausgewählten Themen anschlussfähig an heutige Fragestellungen und Beobachtungen. Viele Besucher werden die „historischen Exponate“ mit ihrer eigenen Geschichte verbinden können und finden dadurch einen ganz persönlichen Zugang zu den Ausstellungsinhalten.

Welche sind das? Und können Sie mit Blick auf die konkreten Themen noch etwas zur Raumgestaltung und Inszenierung sagen?
Der Aufbau der Ausstellung folgt den 6 wesentlichen Themen-Clustern, die das Leben der Menschen in SH umreißen. Zu Beginn der Ausstellung erwarten die Besucher unterhaltsame, inspirierende Video-Botschaften. Jedem Themen-Cluster wird dann ein visuell eigenständiger Raumabschnitt gewidmet. Die Raumbilder sind dabei von den Inhalten geprägt und weisen assoziativ auf das Raumthema hin. Ich will einige Beispiele nennen: Die Strenge, mit der die Rhythmen der Jahres- und Tageszeiten unser Leben bestimmen, hat zu einer sehr klar strukturierten Stellung der Exponate geführt. Gleichmäßiger Takt und Ordnung bestimmen das Bild. Der Bereich zur Mobilität hingegen ist durch „verbindende Spuren“ und eine dynamische Stellung der Vitrinen gekennzeichnet. Hier werden durch verknüpfende Linien visuelle Bezüge hergestellt und Bewegung suggeriert. Das Thema Konsum ließ sich natürlich hervorragend in einem riesigen Regal präsentieren, vor dem sich die Besucher nun auf Bänken niederlassen und in „Produktbroschüren“ schmökern können. Darin werden die im Regal als Güter präsentierten Exponate erklärt. Besonders signifikant ist der letzte Abschnitt zum Thema Sicherheit. Hierfür haben wir raumhohe Wandscheiben gestaffelt in den Raum gestellt. Die nach außen zeigenden Seiten sind geschlossen und abgrenzend, während die Innenseiten wie kleine, intime Kabinette wirken. Abschließend dürfen die Gäste in einer partizipativen Foto-Suite noch Nachrichten an die folgenden Gäste hinterlassen.

Die Stars der Dauerausstellung sind 350 Alltagsgegenstände. Eine Schultüte, ein Bügeleisen… Ist Ihnen die Auswahl zwischen Tausenden Exponaten schwergefallen? Wie inszenieren Sie diese? Und was möchten Sie bei den Besuchern erreichen?
Die Exponate sind für uns zunächst Zeugnisse und Artefakte, die uns Vergangenes näherbringen. So können sie als Medium für eine gedankliche Reise in die Vergangenheit fungieren. In diesem Sinne stellen die Kuratoren und wir uns Fragen mit Blick auf die möglichen Objekte: Welche Geschichte wird durch welches Exponat anschaulich? Welche Informationen liefert ein Objekt? Welcher Sinnzusammenhang wird dadurch plastisch erkennbar und nachvollziehbar? Das heißt, die Auswahl der Exponate erfolgt in enger Verbindung mit der inhaltlichen Entwicklung der Ausstellung. In der Regel wird die Auswahl der Exponate - wie auch in Molfsee - von den Kuratoren getroffen. Unser Fokus liegt darauf, die ausgewählten Objekte in Szene zu setzen und bestmöglich zu präsentieren. 

Können Sie das konkretisieren?
Da spielen ästhetische, konservatorische und technische Aspekte eine große Rolle. Zunächst ist es uns immer wichtig, jedes Exponat visuell spannend zu präsentieren, um die Blicke und Aufmerksamkeit der Betrachter einzufangen. Nicht jedes Objekt ist jedoch visuell attraktiv und trotzdem lassen sich mit den unterschiedlichsten Mitteln spannende Bilder erzeugen, die zur genaueren Betrachtung einladen. Und diese visuelle Verführung ist entscheidend für das Erlebnis einer Objektpräsentation. Die Kunst der Objektmontage und der Beleuchtung gehören hier zu den wichtigsten Werkzeugen. An oberster Stelle muss dabei immer der Schutz und der Erhalt der Exponate stehen.

Gibt es ein Exponat, mit dem Sie persönlich eine besondere Erinnerung verbinden
Ja, es gibt einige Exponate, die ich als junger Mensch selber besessen habe und die mir sehr vertraut sind. Als Teenager war ich lange und viel damit beschäftigt, den damals coolsten Songs hinterher zu jagen und diese auf Musikkassetten aufzunehmen, teilweise waren das Mitschnitte von Chart-Sendungen im Radio. Sowohl die Musikkassette mit Eigenbeschriftung, als auch die Kulturpraxis des „Aufnehmens einer Radiosendung“ sind Geschichte und in der Ausstellung steht genau so ein drehbarer Kassetten-Ordner, wie ich ihn hatte. Es ist eine aufwühlende Erfahrung einem Objekt zu begegnen, das einerseits zeitlich schon sehr weit weg und trotzdem sehr vertraut und nah ist. Ich hoffe sehr, dass viele Besucher „Ihre“ Objekte in der Ausstellung finden werden.

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