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  • Dr. Babette Tewes

80.000 Alltagsgeschichten

Im Interview spricht Chef-Kuratorin Dr. Babette Tewes über die Entstehung der neuen Dauerausstellung in unserem Jahr100Haus, über die Qual der Wahl unter 80.000 Exponaten 350 auszuwählen, warum es bei Weitem nicht nur um Wissensvermittlung geht und welche persönlichen Erinnerungen sie mit dem einen oder anderen Objekt verbindet.

Frau Dr. Tewes, das Freilichtmuseum Molfsee plant Ende März sein neues Jahr100Haus zu eröffnen. Kern des Gebäudes ist die neue Dauerausstellung. Was gab den Anstoß für dieses Projekt?
2013 wurde das Freilichtmuseum in die Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen integriert. In diesem Zuge kam es zum Zusammenschluss des Freilichtmuseums mit dem Volkskunde Museum Schleswig. Der Ausstellungsstandort auf dem Schleswiger Hesterberg wurde geschlossen. In Molfsee gab es zu jenem Zeitpunkt jedoch „nur“ die historischen Gebäude aus ganz Schleswig-Holstein, aber keine geeigneten Ausstellungsflächen, um die nun größte volkskundliche Sammlung im Land dem Publikum zu präsentieren. So entstand die Notwendigkeit, ein neues Ausstellungs- und Eingangsgebäude für das Freilichtmuseum zu bauen. 

Mit der Aufgabe, eine neue Dauerausstellung auf den Weg zu bringen, wurden Sie als Projektleiterin betraut. Wie sind Sie an diese Aufgabe herangegangen?
So einer großen Ausstellung geht meist ein sehr langer Planungsprozess voraus. Ab 2016 haben wir uns im Museumsteam sehr intensiv mit dem Ausstellungskonzept befasst. Zunächst ging es in erster Linie darum, wie wir überhaupt eine Sammlung von rund 80.000 Objekten thematisch sinnvoll präsentieren können. Anfangs haben wir uns wöchentlich in einem festen Fünfer-Team zusammengesetzt, um gemeinsam ein Konzept zu entwickeln, das der umfangreichen Sammlung gerecht wird. Es war schnell klar, dass es um Alltagskultur in Schleswig-Holstein in den letzten 100 Jahren gehen sollte.

Warum ist die Wahl auf die letzten 100 Jahre gefallen?
Die historischen Gebäude im Freigelände bilden einen Zeitraum vom 16. bis ins frühe 20. Jahrhundert ab. Uns war es wichtig, mit der Ausstellung den Sprung ins 21. Jahrhundert zu schaffen. Daher war schnell klar, dass die Ausstellung diese Lücke schließen sollte und wir so den Anschluss an die heutige Zeit herstellen. Wir möchten mit der Ausstellung ganz aktuelle Fragen stellen und die Besucherinnen und Besucher im Hier und Heute abholen. Daher haben wir uns gefragt, was denn aktuelle Fragestellungen sind. Was bewegt uns als Menschen heute? Was prägt unseren Alltag? Was trägt dazu bei, dass Alltagsleben gelingt? Und sind das für heute andere Themen als vor 100 oder vor 50 Jahren? Im Zentrum stehen dabei einerseits die Exponate, andererseits aber auch die Menschen, die mit den Dingen umgehen. Wir möchten zeigen, welche Bedeutung ganz banale Alltagsobjekte für jeden von uns haben können. Und wie vielschichtig dabei die Zusammenhänge und Bedeutungsebenen sein können. Daher haben wir uns zum Beispiel auch gegen eine chronologische Erzählung entschieden. Auch weil eine Gliederung nach Themenbereichen die Möglichkeit eröffnet, die Dinge aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten.

Wie sind Sie denn am Ende zu Ihrer Auswahl der Exponate gekommen? Aus 80.000 Objekten auszuwählen scheint keine ganz leichte Aufgabe zu sein.
2017 kam nach einem Suchverfahren das Gestaltungsbüro Demirag Architekten aus Stuttgart dazu. Und es begann der gemeinsame Prozess, das Konzept in eine gestalterische Form zu gießen. Dabei wurde schnell klar, dass wir auf 920 qm Ausstellungsfläche bei Weitem nicht alle Exponate zeigen können, die wir gerne zeigen möchten. Von vielen Objekten, insbesondere den Großobjekten mussten wir uns trennen. Kill your darlings war das Motto. Das war wirklich nicht einfach (lacht). Am Ende sind wir bei rund 350 Exponaten und sechs großen Themenbereichen gelandet. 

Gibt es Dinge, die Sie unbedingt anders machen wollten? …anders als man es in einem Museum erwartet?
Als volkskundliches Museum beschäftigen wir uns mit den Dingen des ganz normalen Alltagslebens. Es war uns daher wichtig, dass wir nah an den Menschen bleiben und die Besucherinnen und Besucher unmittelbar abholen. Wir wollten alles möglichst nahbar gestalten. Das kann zum Beispiel bedeuten, nicht alles hinter Glas zu zeigen, sondern die Objekte auch einfach so auf einen Sockel zu stellen. Aber auch die Sprache spielt eine wichtige Rolle. Alle Texte in der Ausstellung sind möglichst kurz und in Alltagssprache verfasst. Und was heute ganz leicht und locker daherkommt, hat dem Team im übertragenen Sinne viel Schweiß und Tränen gekostet. Insgesamt haben wir mit vier Kuratorinnen und Kuratoren und dem Team der Bildung und Vermittlung an den Texten gefeilt. Wir haben Schreibworkshops absolviert, im Team zig Mal gegenseitig Korrektur gelesen und zum Schluss die Texte noch einmal lektorieren lassen. Ein aufwendiger Prozess. Es geht in der Ausstellung nicht nur um reine Wissensvermittlung, vielmehr möchten wir mit den Exponaten, mit den Texten, mit den Geschichten, die wir erzählen, persönliche Erinnerungen und Emotionen wecken. 

Und diese emotionale Vermittlung funktioniert nur über die Sprache und die Exponate?
Nicht ganz. So manche komplexe Geschichte lässt sich kaum in 300-600 Zeichen erzählen. Da ergänzen wir natürlich schon mit medialen Mitteln. Das gehört heutzutage einfach zu einer modernen Ausstellung dazu. Gleichzeitig bleiben jedoch die Exponate in ihrer Materialität, mit ihren Gebrauchsspuren, die auf ganz individuelle Geschichten hinweisen und ihre ganz eigene Ästhetik ausmachen, immer im Zentrum des Interesses. Die Medien ergänzen also nur und sind kein Selbstzweck. So gibt es einen Medientisch, Filmstationen, Hörstationen, einige Spielstationen und einen Medienguide. Langweilig wird es also sicherlich nicht (lacht).

Unsere sechs Themenbereiche Rhythmus, Mobilität, Beschäftigung, Konsum, Kommunikation und Beziehung sowie Sicherheit werden von einem Intro eingeleitet. Wir zeigen einen Film, der ohne viel Worte auskommt und trotzdem ganz viel über das Leben in Schleswig-Holstein aussagt. Er fungiert als eine Art Opener, er holt die Besucherinnen und Besucher ganz unmittelbar in die Welt der Ausstellung. Am Schluss der Ausstellung sind die Besucherinnen und Besucher dann selbst gefragt und können in einer Selfie-Box Teil der Ausstellung werden.

Gibt es ein Exponat, mit dem Sie persönlich eine besondere Erinnerung verbinden?
Oh, da gibt es eine ganze Menge. Aus einem Forscher-Blickwinkel würde ich sagen, sind das Exponate, die nach wie vor noch Rätsel aufgeben. Das ist zum Beispiel das Gesellschaftsspiel „Schacher“, das in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in Kiel erschienen ist und an Monopoly erinnert. Nur heißen die Straßen nicht Schlossallee oder Parkstraße sondern Sophienblatt und Hindenburgufer. Ein echtes Schleswig-Holsteinisches Unikat. Von dem wir aber nicht wissen, aus welchem Anlass es wirklich entstanden ist. Oder ein Dokumentenkonvolut aus den 1930er und 1940er Jahren, aus dem sich ganz gut das harte Leben einer Flensburgerin in dieser Zeit rekonstruieren lässt. Und dann gibt es da natürlich auch solche Exponate, die auch mich eher emotional ansprechen. Etwa die Kassettenbox mit Mixed Tapes aus den 1980er und 1990er Jahren. So eine hatte ich selbst auch mal. Oder die Waffe, mit der Marianne Bachmeier den Mörder ihrer Tochter in einem Lübecker Gerichtssaal erschoss. Ein Fall von Selbstjustiz, der in den 1980er Jahren durch die Medien ging. 

Was geben Sie unseren Besuchern mit auf den Weg?
Ich wünsche mir, dass die Besucherinnen und Besucher eine gute Zeit in der Ausstellung verbringen, in der sie eintauchen in die Geschichte Schleswig-Holsteins, sich aber gleichzeitig auch auf eine Reise in die eigene Vergangenheit begeben. Und ich wünsche mir, dass sie einige neue Erkenntnisse und viele Inspirationen für die Gegenwart und Zukunft mit nach Hause nehmen.

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