„Es lohnt sich, das Museum immer wieder neu zu entdecken“
Das Freilichtmuseum feiert am 19. Juni 2025 seinen 60. Geburtstag. Museumsdirektorin Dr. Kerstin Poehls spricht im Interview darüber, was die Menschen früher bewegt hat, ins Museum zu gehen, und warum sie es heute tun.
Frau Dr. Poehls, das Freilichtmuseum Molfsee existiert inzwischen seit mehr als einem halben Jahrhundert. Vor welchem Hintergrund sind Museen wie das unsere nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden?
Bis Ende der 1970er Jahre sind sehr viele Museen gegründet worden, und dieser Boom symbolisiert eine gesellschaftliche Suche nach Orientierung: „Heimat“, „Herkunft“ oder „Gemeinschaft“ waren in der Zeit des Nationalsozialismus ideologisch massiv aufgeladen worden; diese Konzepte untermauerten Massenverbrechen und Staatsterror. Museen und Wissenschaft – wie auch die Volkskunde – haben daran mitgewirkt. Nun, in der Nachkriegszeit, bewegen sich Museen im Spannungsfeld zwischen Bruch und Kontinuität. Das Freilichtmuseum Molfsee ist ein prominentes Beispiel dafür.
Gab es noch andere Beweggründe?
Ja, für Freilichtmuseen kam hinzu, dass ländliche Arbeitswelten sich fundamental wandelten. Technische und betriebliche Neuerungen sorgten dafür, dass zahlreiche Maschinen, Geräte und Gebäude plötzlich veraltet waren und einen Platz im Museum fanden. Der Weg zu einem Freilichtmuseum in Molfsee war aber zugleich auch politisch flankiert. 1953 war der Eiderstedter Haubarg „Rothelau“ dem damaligen Ministerpräsidenten Friedrich-Wilhelm Lübke als Geschenk angeboten worden. Das Land schlug dieses Angebot aus und das historische Gebäude wurde 1956 an das Freilichtmuseum Lyngby bei Kopenhagen verkauft. Das war der Anstoß zur Museumsgründung.
Und seitdem ist viel passiert. Auf dem 40 Hektar großen Freigelände werden inzwischen 60 historische Gebäude präsentiert. Mit der Eröffnung des Jahr100Hauses – dem neuen Eingangs- und Ausstellungsgebäude des Freilichtmuseums – laden wir unsere Gäste ein, auch die Alltags- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts Revue passieren zu lassen. Hätten Sie Lust, mit uns ein wenig in die Zukunft des Museums zu blicken?
Unser wichtigstes Anliegen ist es, das Genre Freilichtmuseum stärker mit der Gegenwart zu verbinden, also mit den heute brennenden Debatten um globale Verflechtungen, um die natürlichen Ressourcen und unseren Umgang damit, um unser soziales Miteinander im Alltag. Das Jahr100Haus wird auch weiter der Ort sein, von dem aus wir historische Konstellationen mit Zukunftsfragen verbinden, wie zum Beispiel in unserer aktuellen Sonderausstellung „Wohltemperiert“ (MEHR…).
Welche gesellschaftlichen Entwicklungen greift das Museum noch auf?
Wir lernen immer mehr, wie sehr sich Menschen Anlässe und Räume zum sinnstiftenden Mitmachen wünschen – wo sie mit ihren Händen etwas gestalten und Menschen begegnen können, die sie noch nicht kennen. Neben Demokratiebildung und Klimawandel ist der Kampf gegen Einsamkeit das Thema der Zukunft – erste europäische Regierungen haben schon Ministerien damit beauftragt, in Deutschland erarbeiten Großstädte Konzepte, mit denen die Vereinsamung junger und älterer Menschen verhindert werden soll. Hier kommen wir ins Spiel – das Museum als Ort der Interaktion, der Begegnung im gemeinsamen Tun und im Gespräch. Wir eröffnen Räume, die Einsamkeit aktiv entgegenwirken, und wo sich sehr unterschiedliche Menschen voraussetzungslos treffen können. Der Zugang zu (gestalteter) Natur, alltägliche Kultur, handwerklichen Fertigkeiten: Mit all dem, was bei uns für alle Sinne erlebbar ist, versorgen wir unsere Gäste und die Gesellschaft. Wir liefern damit eine Grundlage, um Einsamkeit gar nicht erst entstehen zu lassen.
Die Menschen, die uns besuchen, kommen also aus ganz unterschiedlichen Gründen…
Das stimmt. Sehr viele Schleswig-Holsteiner sind bereits in ihrer Schulzeit einmal hier gewesen oder mit ihren Eltern und Großeltern. Einige kommen aufgrund aktueller Debatten, die wir anstoßen. Wieder andere, um sich hier einzubringen. Abgesehen davon: Ein Besuch ist an einem regnerischen Frühjahrsmorgen oder an einem sonnigen Sommertag etwas ganz Anderes als beim Besuch des Herbstmarktes. Wir sind ein Museum für alle. Unsere Vielfalt ist unsere Stärke. Es lohnt sich also, immer wieder zu uns zu kommen und eine vielleicht noch nicht bekannte Version des Freilichtmuseums Molfsee zu entdecken.